Norddeutsche Rundschau - 06.05.2019
Frank Jung kiel Das Gastgewerbe und der Handel sind die wichtigsten Branchen für Flüchtlinge, um auf dem Arbeitsmarkt in Schleswig-Holstein Fuß zu fassen. Das geht aus einer Übersicht der Regionaldirektion der Bundesagentur für Arbeit (BA) für unsere Zeitung hervor.
Nach den jüngsten Daten der BA sind im nördlichsten Bundesland mindestens 9319 Flüchtlinge sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Das sind 3280 oder 54,3 Prozent mehr als ein Jahr zuvor. 1657 von ihnen sind in der Gastronomie oder Hotellerie tätig, 1241 im Einzel- oder Großhandel. Darauf folgen vom Umfang her 1072 Personen in so genannten unternehmensnahen Dienstleistungen wie Reinigungen und Wachdiensten. Im verarbeitenden Gewerbe sind laut BA-Statistik 1041, im Baugewerbe 863 Flüchtlinge angestellt. 1145 sind bei Zeitarbeitsfirmen untergekommen. Bei ihnen unterscheiden die Daten der Arbeitsagentur nicht nach einzelnen Branchen.
„Auch wenn bei zahlreichen Flüchtlingen formal keine berufliche Qualifikation nach unseren Standards vorliegt, weil es in den Herkunftsländern kein duales Ausbildungssystem gibt, kann man nicht pauschal von Ungelernten sprechen“, bilanziert die Leiterin der BA-Regionaldirektion, Margit Haupt-Koopmann. „Viele Flüchtlinge bringen berufliche Erfahrungen mit, die auf dem Arbeitsmarkt sehr wohl verwertbar sind und an die man anknüpfen kann. Ich sehe uns angesichts der wachsenden Beschäftigtenzahlen auf einem guten Weg.“
Gleichwohl dokumentieren Einschätzungen der Arbeitsagentur auch, dass die Schutzsuchenden für einen Aufstieg auf dem Arbeitsmarkt schlechtere Perspektiven haben als Deutsche: Beim Profiling von Arbeitslosen stufen die Arbeitsvermittler ein, welche Verwendung für einen Kandidaten zeitnah realistisch ist. Während von deutschen Erwerbslosen 47 Prozent für einen Einsatz als Helfer eingeschätzt werden, sind es bei Flüchtlingen 65 Prozent. Eine Eingruppierung als Fachkraft oder Spezialist erreichen 43 Prozent der Einheimischen, aber nur 19 Prozent der Flüchtlinge. Unter deutschen Arbeitssuchenden befinden sich sechs Prozent Experten mit Hochschulabschluss, unter arbeitssuchenden Flüchtlingen vier Prozent.
Sorgen, dass eine Eintrübung der Konjunktur viele Flüchtlinge einen einmal gefundenen Job kosten könnte, hat Haupt-Koopmann nicht: „Unser Forschungsinstitut IAB hat erst kürzlich darauf hingewiesen, dass die Entwicklung der Beschäftigung gegenüber der Konjunkturentwicklung deutlich unabhängiger geworden ist. Das liegt auch daran, dass Arbeitskräfte knapper geworden sind und die Betriebe sie deshalb halten.“
Wohl aber betont die Chefin der Regionaldirektion das Bemühen, häufig an schnellem Geld interessierten Flüchtlingen den langfristigen Wert einer nachhaltigen Qualifizierung schmackhaft zu machen. Die Klippe: „Allerdings gibt es häufig individuelle Zwangslagen und Beweggründe, die für die Betroffenen in der aktuellen Situation verständlicherweise wichtiger sind.“ Haupt-Koopmann nennt etwa Schulden bei Schleusern oder Angehörige im Herkunftsland, die finanzielle Unterstützung erwarten.
Als größte Hürden beim Fußfassen auf dem Arbeitsmarkt stellt die BA-Chefin zweierlei heraus: Zum einen dürften die Anstrengungen beim Deutsch-Lernen keinesfalls nachlassen. Zweitens habe sich „herauskristallisiert, dass sich viele Frauen auf Grund ihres kulturellen Hintergrunds schwertun, in der deutschen Arbeitswelt anzukommen“. Wichtig ist, dass ihnen vermittelt wird, dass sie gleichberechtigt sind und sich Familie und Berufstätigkeit nicht ausschließen.“